[++ Wien, am 9.11.2020 ++] Gibt es Wunder tatsächlich? Ja, sagt der Theologe und Mediziner DDr. Matthias Beck, Univ.Prof. für Moraltheologie bzw. Medizinethik an der Universität Wien. Das Gespräch wurde anlässlich der Seligsprechung des Gründers der Salvatorianischen Gemeinschaften, P. Franziskus Jordan, die am 15. Mai 2021 in Rom stattfindet, geführt.

Herr Prof. Beck, am 15. Mai 2021 wird der Ordensgründer der Salvatorianischen Gemeinschaften, P. Franziskus Jordan, in Rom seliggesprochen. Eine der Voraussetzungen war ein Wunder, das er bewirkt hat. Aber Wunder, gibt es die überhaupt?

Matthias Beck: Da kann ich den heiligen Augustinus zitieren: Wunder sind nicht gegen die Natur, sondern nur gegen die Natur wie wir sie bisher erklären können. Also die Antwort auf Ihre Frage lautet: Sicher gibt es Wunder. Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als Eure Schulweisheit sich träumen lässt, wusste schon William Shakespeare. Es kann aber sein, dass das, was wir bisher für Wunder gehalten haben, zunehmend durch das, was wir jetzt z.B. über Genetik und Epigenetik wissen, erklärbar wird.

Wir haben leider das ganze Heilende aus dem Christentum, ich will nicht sagen verbannt, aber so ein bisschen in die Ecke geschoben. Der ganze christliche Vollzug sollte etwas Heilendes haben. Je mehr ich mich in den göttlichen Willen hineinfüge, desto klarer wird es innerlich, finde ich tiefen Frieden und desto klarer können auch die physiologischen Abläufe funktionieren. Das heißt: Wunder gibt es, aber das eigentliche Wunder ist das Leben selbst; dass es funktioniert und dass ich die Möglichkeit habe, mich darauf einzulassen.

Aber ist das nicht ein Widerspruch, wenn Sie sagen: Vielleicht können wir das eine oder andere Wunder in ein paar Jahren doch naturwissenschaftlich erklären?

Ich kann da gut auf beiden Beinen stehen. Tatsache ist, dass Wunder, ehe sie von der Kirche anerkannt werden, äußerst genau unter die Lupe genommen werden. Der Vatikan anerkennt Wunder nur an, wenn sie von einer kirchlichen Untersuchungskommission zweifelsfrei als „übernatürlich“ ausgewiesen worden sind. Doch als Naturwissenschaftler weiß ich, dass wir eine Logos-Religion sind. Ich weiß, dass viele Menschen aufgeklärt sind und auch etwas von ihrem Glauben verstehen wollen. Deshalb bin ich lieber auf der Seite, die versucht, den Menschen zu erklären, wie etwas funktioniert – soweit wir es können. Denn das ist die Kernfrage: Können wir Auskunft darüber geben, was das Heilende am Christentum ist? Ich meine, 50 Prozent der Geschichten sind Heilungsgeschichten. Da heißt es immer, dein Glaube hat dir geholfen. Das heißt, der Mensch muss mitmachen; der Mensch wirkt eigentlich das Wunder selbst; Gott bietet ihm das an. Der Mensch ist da mit drin, er ist da mit einbezogen. Jesus fragt die Menschen: Willst du gesund werden? Warum fragt er das? Weil du dich dafür öffnen musst. Wenn du dich nicht dafür öffnest, passiert gar nichts. Das stört mich, dass wir so tun, als ob Gott da überall hineinbricht und Wunder wirkt. Nein, da bin ich schon mittendrin, da bin ich schon daran beteiligt. Jesus wusste: Wunder kann man nicht beweisen, sondern nur glaubend erfahren.

Kann ich das so formulieren: Voraussetzung für ein Wunder ist der Glaube?

Man könnte jetzt dreidimensional sagen: Voraussetzung, Begleitung und Echo-Wirkung. Jesus sagte auch zu den Geheilten: Jetzt ordne dein Leben, damit du nicht wieder zurückfällst in die Krankheit. Denn man kann in die Krankheit zurückfallen. Wenn jemand einen Grundglauben hat, dann ist es für ihn vielleicht leichter. Die entscheidende Frage ist dann die Nachwirkung: Es geschieht ein Wunder an mir, und jetzt kommt drauf an, was ich damit mache. Bin ich dankbar dafür oder nehme ich das eher gleichmütig hin. Also in allem ist diese Dreidimensionalität gegeben. Der vorrausgehende Glaube, dass ich schon offen bin für Gott. Der jetzt begleitende Glaube: Mir geschieht ein Wunder. Und die Nachwirkung, dass ich damit vernünftig umgehe. Der Mensch ist immer mittendrin.

Sie sprachen einmal davon, dass die Katholische Kirche den Naturwissenschaften skeptisch gegenübersteht.

In einem Vortrag sagte einmal der Dalai Lama: Wenn die Naturwissenschaft etwas erforscht, das dem Buddhismus widerspricht, dann müssen wir die buddhistische Lehre ändern. Von einem Islamwissenschaftler hörte ich einmal – das gilt aber nicht für den gesamten Islam – , dass die Naturwissenschaftler ihre Meinung ändern müssen, wenn sie etwas erforschen, was dem Koran widerspricht. Ich habe dann gesagt, wir Katholiken sind so in der Mitte. Bis 1965, bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil, wollten wir noch stark Einfluss nehmen auf die Naturwissenschaften. Dann erst hat die Kirche die Naturwissenschaften großzügig in die Freiheit entlassen und gesagt, das, was ihr erforscht, erkennen wir an. Als Naturwissenschaftler und Mediziner meine ich, wir können sehr viel von den Naturwissenschaften lernen. Ich denke da zum Beispiel an die ganzen Erkenntnisse aus den Forschungsfeldern Genetik und Epigenetik, also dass die Information im Organismus ein dialogisches Prinzip ist. Das ist perfekt kompatibel mit unserem dreifaltigen Gott. Gerade heute stehen die Türen sperrangelweit offen, und man kann die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse gut in die Theologie integrieren. Die Theologie kann sogar davon inspiriert werden und so profitieren. Sie könnte diese Integration in hervorragender Weise schaffen. Die naturwissenschaftlichen Weltbilder färben stark ab auf Gottesbilder.

Ganz andere Frage: Worin liegt der Sinn von Seligsprechungen?

Gute Frage. Sagen wir einmal, irgendwie hat doch der Mensch das Bedürfnis, jemanden zu verehren, ein Idol. Ich finde es schon gut, denn hier werden uns verschiedene Spiritualitäten vorgeführt. Die Kirche schaut aus wie ein einheitlicher Block, doch wenn man tiefer reinschaut, dann ist sie das gar nicht. Nehmen Sie die großen Ordensgründer, das sind manchmal sehr wilde, aber auf alle Fälle sehr unterschiedliche Typen. Ein Benediktiner könnte nie ein Franziskaner sein, und dieser kein Jesuit. Die Ordensgründer haben richtig gut etwas vorangebracht; da braucht es eigentlich gar keine Wunder.

Herr Professor, ein abschließendes Wort?

Wenn wir über unsere Religion keine Auskunft geben können, dann wird es uns womöglich weggenommen werden. Wichtig wäre mir zu sagen: Wer das Wort Gottes nur hört und es nicht versteht, dem wird es wieder weggenommen. Und ich ergänze: Wenn ihr das Wort Gottes nur hört und es nicht versteht und keine Auskunft geben könnt in der Gesellschaft, dann wird euch dieses großartige Geschenk vielleicht wieder weggenommen. Manchmal sieht es fast danach aus.

ZUR PERSON

Ao. Univ.-Prof. Dr. Dr. Matthias Beck

1956 in Hannover geboren, ist Pharmazeut, Mediziner, Philosoph, Katholischer Theologe und Priester / Dr. med. Dr. theol., habilitiert in Theologie, Prof. für theologische Ethik/Medizinethik. Er lehrt Moraltheologie bzw. Medizinethik an der Universität Wien. Sein jüngstes Buch „Gott finden. Wie geht das?“ erschien im Oktober 2020 im Styria-Verlag.

Das Gespräch führte Robert Sonnleitner.