Pater Stephan Horn kennt den emeritierten Papst Benedikt XVI. seit Jahrzenten persönlich

Von Steffen Lang, erschienen in der Schwäbischen Zeitung am 04.02.2021

BAD WURZACH – Zum Kreis der Brüder des Salvatorianerordens in Bad Wurzach gehört ein Mann, in dessen Leben Papst Benedikt XVI. eine große Rolle spielt. Pater Stephan Otto Horn war bis vor ein paar Jahren Sprecher dessen Schülerkreises. 1934 wurde der Ordensmann in Isny geboren, wo sein Vater als Bahnbeamter arbeitete, ehe er zu Anfang des Zweiten Weltkriegs nach Polen kam, während die Familie in seine Heimat Kißlegg umzog. Dort wuchs der spätere Geistliche zusammen mit seinen beiden Brüdern auf. „Im Gegensatz zu Isny habe ich nach Kißlegg auch noch Beziehungen. Dort gibt es noch Verwandte und ehemalige Klassenkameraden.“ Ab 1945 besuchte Otto Horn das Gymnasium Salvatorkolleg in Bad Wurzach, wo er 1954 das Abitur ablegte. Anschließend trat er in den Orden ein und studierte Theologie in Passau. 1960 wurde er dort zum Priester geweiht. 1966 promovierte Pater Stephan in München, darf also seitdem den Doktortitel führen. Danach war er „für zwei Kurz-Schuljahre“, wie er erzählt, Lehrer am Salvatorkolleg. „Die damals ältesten meiner Schüler sind heute schon pensioniert“, sagt der 86-Jährige schmunzelnd.

1970 ging er nach Regensburg, um dort zu habilitieren, also die wissenschaftliche Lehrbefähigung zu erwerben. Dort betreute ihn der damalige Professor Joseph Ratzinger. „Ich habe mich bei ihm natürlich vorstellen müssen“, erinnert sich Pater Stephan an das erste Zusammentreffen mit dem späteren Kirchenoberhaupt. „Wir haben ein schönes theologisches Gespräch geführt und dabei Gemeinsamkeiten darin, wie Theologie zu treiben ist, festgestellt.“ Bei Ratzinger habe er in den Folgejahren gelernt, „dass das theologische Studium die freie Diskussion braucht“, sagt Pater Stephan. „Er hat seine Doktoranden und Habilitanden, die aus ganz Europa und ausanderen Kontinenten kamen, zumeist nicht persönlich geführt, sondern in den Doktorandenseminaren mit ihm und untereinander frei diskutieren lassen. Wir durften in dieser Gemeinschaft unseren Weg suchen. Das hat in mir die richtige Freude an der Theologie und auch am Forschen geweckt.“

Ratzinger habe schon damals mit seinen Schützlingen jedes Jahr einmal „große Professoren, auch evangelische, orthodoxe und jüdische,“ besucht, „so dass wir die ganze Weite  der Ökumene erleben durften“, erzählt Pater Stephan weiter. Er nennt als Beispiele Professor Karl Rahner, den späteren Kardinal Walter Kasper und den einflussreichen evangelischen Theologen Wolfhart Pannenberg. „Es war eine sehr schöne Zeit.“ Von 1972 bis 1977 war Pater Stephan Ratzingers Assistent, bis dieser zum Erzbischof von München und Freising geweiht wurde. Kurz darauf wurde Ratzinger zum Kardinal ernannt. In dieser Zeit, so erinnert sich Pater Stephan, hat sich der Schülerkreis mit ehemaligen Doktoranden und Habilitanden gebildet. Er setzte sich aus mehr als 50 Teilnehmern zusammen, die er seinen früheren Wirkungsstätten betreut hatte: vom Pfarrer bis zum Professor, vom Laien bis zum Leiter eines Priesterseminars. „Auch Frauen sind dabei“, sagt Pater Stephan. „Es war natürlich, dass ich als einer von zwei Assistenten in die Rolle des Sprechers hineingewachsen bin.“

Zu den Treffen lud man wie bisher bekannte Professoren als Referenten ein, mit denen man lange theologische Gespräche, manchmal auch lebhafte Diskussionen führte. Ihr Lehrer war inzwischen nach Rom berufen worden, wo er als Präfekt der Glaubenskongregation zu einem der einflussreichsten Kirchenmänner wurde. Sein Schülerkreis traf sich weiter mit ihm in Bayern und an anderen Orten in Deutschland, in späteren Jahren vor allem in einer Bildungsstätte in der Nähe von Regensburg, zu Jubiläen auch in Rom. Das setzte sich auch während der Amtszeit von Papst Benedikt fort. „Als er Papst wurde, durfte ich ihm die Glückwünsche des Schülerkreises überbringen“, erzählt Pater Stephan Horn. „Dabei hat er von sich aus vorgeschlagen, die Treffen künftig in Castel Gandolfo, dem päpstlichen Sommersitz, fortzuführen.“ Die Entscheidung im Konklave am 19. April 2005 für den damals fast 78-jährigen Joseph Ratzinger als Nachfolger von Papst Johannes Paul II. war dabei auch für Pater Stephan eine „große Überraschung, schon wegen seines hohen Alters“. Der Ordensmann war auf dem Petersplatz, als die Entscheidung verkündet wurde. „Ich war überwältigt.“

Und acht Jahre später? Hat Papst Benedikt in diesem Kreis Andeutungen über seinen späteren, für viele überraschenden Rücktritt im Februar 2013 gemacht? Pater Stephan glaubt heute, solche Andeutungen in Worten und Taten Benedikts zu erkennen, „aber wir haben ihn damals nicht verstanden“. Was der Salvatorianer heute weiß: „Benedikt wollte eigentlich erst 2014 zurücktreten, nach dem Weltjugendtreffen in Brasilien, das ihm sehr wichtig war. Doch als ihm seine Ärzte sagten, dass er dorthin nicht mehr werde reisen können, hat er den Rücktritt vorgezogen.“ Mit Papst Benedikt steht Pater Stephan noch in Briefkontakt, zuletzt erhielt er von ihm einen Weihnachtsgruß. Wie geht es dem ehemaligen, nun 93-jährigen Kirchenoberhaupt? „Zurzeit gut“, sagt Pater Stephan. „Er wird natürlich schwächer. Sprechen, sehen, hören fallen ihm schwer. Doch im Geist ist er weiter außerordentlich lebendig. Er hat immer noch ein sehr gutes Gedächtnis und ist interessiert an vielerlei Dingen.“

Pater Stephan selbst steckt noch voller Tatendrang. Nach den Jahren seiner Lehrtätigkeit in Passau war er ein Jahrzehnt lang hauptsächlich in Rom, um bei der Vorbereitung der Seligsprechung des Gründers der Salvatorianer, Pater Franziskus Jordan, mitzuwirken. Im kommenden Mai wird Pater Franziskus in Rom selig gesprochen – Pater Stephan wird dabei sein, so es Corona zulässt. Seit 2015 lebt er in Bad Wurzach, nachdem die Ordensniederlassung im niederbayerischen Pfarrkirchen aufgelöst worden war. „Ich bin gerne zurück in meine Heimat gekommen, nach so vielen Jahren ist sie mir wieder zur Heimat geworden.“ Doch im Salvatorkolleg ist er so oft nicht anzutreffen. Er arbeitet an einem wissenschaftlich-theologischen Buch. Dies und eine katholisch-orthodoxe Initiative führt ihn häufig nach Wien. Dort lebt er im „Wiener Studienhaus Johannes von Damaskus“, wo junge Katholiken und Orthodoxe miteinander leben und beten, studieren und arbeiten, um die Entfremdung der beiden Kirchen zu überwinden. Dort ist auch ein wissenschaftliches Institut eröffnet worden, an dem er kürzlich mitwirken konnte.

„Ich fühle mich hier in Bad Wurzach wohl, aber ich bin eben auch gerne unter jungen Leuten aus anderen Ländern. Das ist belebend.“ Auch Freundschaften mit Katholiken und Christen aus der anderen Kirche sind so entstanden. Ganz im Sinn von Papst Benedikt ist Pater Stephan überzeugt: „Wenn man den anderen besser versteht, wenn man vielleicht sogar sein Freund ist, ist das die Grundlage für eine Annäherung im Glauben und in der Theologie, weil man dann auch schwierigere Themen ohne Streit besprechen kann. Und das ist beglückend.“

Pater Stephan über Papst Benedikt

Papst Benedikt habe in seiner Amtszeit das Pastorale und die Theologie aufs Engste miteinander verbunden, blickt Pater Stephan zurück. „Er war nicht nur Hirte der Kirche, sondern auch ihr Lehrer.“ Das ehemalige Kirchenoberhaupt vertrete die Auffassung, dass die Kirche eine Erneuerung aus dem Glauben heraus und auf dem Fundament der Heiligen Schrift und der Kirchenväter braucht, um so den Anforderungen der Zeit gerecht zu werden. Sie solle als „dynamische Minderheit“ auf die Gesellschaft Einfluss nehmen, was auch die missionarische Aufgabe der Kirche wieder mehr in den Mittelpunkt rücke. „Gott muss wieder zur Grundlage der Ethik und damit der gesellschaftlichen Ordnung werden.“

Als Benedikts Verdienst würdigt Pater Stephan dessen Bemühen um die Ökumene mit Protestanten und Orthodoxen, aber auch um eine engere Verbundenheit mit „Juden. „Er betonte stets das Gemeinsame, um von da aus zu einer tieferen Einheit zu gelangen, geprägt von Brüderlichkeit und Freundschaft.“ Nicht hoch genug einschätzen könne man auch Benedikts erfolgreiches Bemühen, die Befreiungstheologie in Lateinamerika zu läutern und in die römisch-katholische Kirche zu integrieren und so eine Spaltung zu verhindern. Oft wurde Ratzinger wegen seiner klaren Haltung in Glaubensfragen als „Panzer-Kardinal“ bezeichnet.  „So habe ich ihn nie kennengelernt“, sagt Pater Stephan energisch. „Er ist ein schlichter, bescheidener, sogar etwas scheuer Mensch, freundlich und weltoffen. Das falsche Bild zurechtzurücken sehen wir im Schülerkreis auch als unsere Aufgabe an.“ „Er hinterlässt als Papst und als Lehrer ein Erbe, das immer mehr reifen und fruchtbar werden wird“‚glaubt Pater Stephan. (sl!)