Manchmal habe ich den Eindruck: Das halbe Leben ist Warten. Stundenlanges Warten im Wartesaal des Arztes trotz Terminvergabe. Nervig. Da warte ich den ganzen Tag auf den Handwerker und dann kurz vor seinem Feierabend der Anruf, dass es heute nichts mehr wird. Ägerlich. Das Warten kommt uns als verlorene Zeit vor. Außer wenn man auf einen lieben Menschen wartet. Dann ist es etwas anders.Vorfreude. Wir stellen uns auf die oder den Erwarteten ein. Zudem gibt es noch eine Variante. Anregung und Hilfe kann mir dabei mein Namenspatron sein. Werner Bergengruen hat eine Legende aus seinem Leben in eine Novelle gefasst. Ich möchte sie Ihnen gestrafft nacherzählen, weil sie in einleuchtender Weise verdeutlicht, um was es im Advent auch geht:
Auf einer Reise durch sein Land besuchte Herzog Heinrich von Bayern eine abgelegene Waldkapelle. Im Schein seiner mitgebrachten Kerze betete er mit seinem Stundenbuch. Da wurde er durch einen Anruf aufgeschreckt, er möge hinter sich blicken. Beim Umschauen entdeckte er einen fremden Mann in einem faltigen Mantel. Wie sich der Herzog umblickte, verließ der Unbekannte die Kapelle. An der Kapellentür aber, durch die der Fremde verschwunden war, entdeckte er ein dunkelrot geschriebenes Spruchband, glühend, dann glimmend, dann erlöschend. Mühsam konnte der Herzog lesen: „Nach sechs.“ Mehr war nicht zu entziffern. Die Schrift war erloschen. Erschrocken deutete er die Schrift und ergänzte sie: Nach sechs Tagen. Heinrich war öfters durch Mordanschläge bedroht. Deshalb dachte er in diesen Augenblick an seinen baldigen Tod. Am liebsten wäre er am angekündigten sechsten Tag an seinem väterlichen Stammsitz gewesen, um dort die Stunde zu erwarten. Seine Pflichten aber hielten ihn in einer seiner Städte fest.
So erzählt Werner Bergengruen wörtlich weiter: In der Frühe des letzten Tages beichtete er und nahm das Sakrament. Sonst aber verbrachte er ihn nicht anders als die anderen Tage. Gegen Abend hielt er sich allein in seinem Schlafzimmer auf, nachdem er alle Bewachung entfernt hatte. Die städtische Turmuhr schlug Mitternacht, der Tag war geendet. Herzog Heinrich stand von seinem Sessel auf und bekreuzigte sich. „Ich hätte verstehen sollen: In sechs Wochen“, sagte er. Darauf schickte er nach einem seiner Ratgeber und ließ sich die Rechtsfälle vortragen, die für den neuen Tag zur Entscheidung standen. Auch der letzte Tag der sechs Wochen verstrich. Trotzdem war der Glaube an das Vorzeichen in ihm so stark, dass er sich jetzt auf ein Sterben nach sechs Monaten einrichtete. Da jedoch kein Mensch mit Ausschließlichkeit für eine längere Zeit einem einzigen Ereignis entgegenleben kann, lebte er sein Leben wie andere Menschen auch mit Geschäften, Sorgen, Genugtuungen aus dem Verfolgen und Erreichen von Zielen. Seine Umgebung bemerkte eine gewisse Veränderung und rühmte seine Geduld und Milde.
Als auch die sechs Monate verstrichen waren, deutete er mit Entschiedenheit die Schrift auf „nach sechs Jahren“. Auch am Morgen des letzten Tages der sechs Jahre empfing er in der Frühe die Sakramente. Später zog er sich in sein Turmzimmer zurück, von dort entdeckte er gegen Abend von Norden her eine starke Staubwolke. Er ging den sich nähernden Reitern entgegen. Er schritt ihnen entgegen „wie ein Geist, dem alle Kraft der Schwere entnommen ist, und er wusste auch nicht mehr, dass er seinem erwarteten Tode entgegenging. Vielmehr war es ihm, es liege sein Tod bereits hinter ihm und er sei aufgenommen in eine ungeheure Glorie.“Die Reiter hielten an, als sie ihn entdeckten. Einer von ihnen rief laut: „Nach sechsstimmig geschehener Beschließung der sechs Kurfürsten laden wir dich, Heinrich von Bayern, nach Aachen, die Krone des heiligen römischen Reiches zu empfangen.“
P. Heinrich Mühlbauer
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