Susja

Ein alter Rabbi, mit Namen Susja, pflegte seine Lehrmeinung über das Leben mit folgendem Satz zu erklären: „Wenn ich einmal im Jenseits ankomme, wird man mich nicht fragen: Warum bist du nicht Mose gewesen? Oder Elija? Oder einer der Großen?

Man wird fragen: Warum bist du nicht Susja gewesen…?“

Martin Buber

 

Diese Geschichte kam mir in den Sinn, als ich über einen Impuls mitten in der Fasnetszeit oder der rheinischen Karnevalszeit, nachdachte.

Viele Narren und Jecken beschäftigen sich gerade sehr mit der Frage: Wie und mit was kann ich mich an den närrischen Tagen verkleiden? Als was oder wer möchte ich gerne zu den närrischen Veranstaltungen gehen? Vielleicht aber auch: Wer oder was möchte ich denn wirklich gerne einmal sein….?

Ich staune immer wieder neu, mit wieviel Phantasie, Freude und Kreativität sich die kleinen und großen närrischen Feiernden verkleiden. Oftmals so, dass sie auf den ersten Blick nicht erkannt werden. Dabei denke ich auch an die Hästräger der Schwäbisch-Alemannischen Fasnet, die mich immer wieder neu in ihrer Vielfalt und mit ihren Masken faszinieren.

Aber ist es nicht auch oft außerhalb der Fasnets- und Karnevalszeit so, dass man gelegentlich jemand anderer sein möchte? Mal aus der eigenen Haut herausschlüpfen und in eine andere Haut hineinschlüpfen? Vielleicht auch unerkannt zu sein?

Es lohnt sich, immer wieder mal innezuhalten und sich die Frage zu stellen: Bin ich Ich und stehe ich auch dazu – mit allem damit Verbundenen?

Um es mit Martin Buber zu sagen: „Man wird fragen: Warum bist du nicht Susja gewesen…?“ Als Anregung zu einer Gebetszeit und als geistliche Übung kann ich hier auch meinen eigenen Namen einsetzen: Warum bist du nicht …  gewesen?

Wie fühlt sich das an, sich dieser Frage zu stellen? Bedarf es hier einer Verkleidung, einer Maske, eines „Häses“?

Als gläubige Christin und spiritueller Mensch weiß ich, dass ich vor Gott keine Maske und keine Verkleidung brauche. Vor Gott brauche und kann ich mich nicht verstellen. Gott nimmt mich, wie ich bin, wie ich aussehe, wie ich mich gebe, wie ich mich fühle. Diese Zusage darf ich mir jeden Tag neu schenken und zusprechen lassen, darf ich jeden Tag neu leben. Manchmal erfordert es Mut, sich so ungeschützt vor Gott zu stellen. Vor allem bedarf es des Vertrauens in Gott, dass er mich nicht verändern möchte. Die Veränderung liegt in mir. Und daraus folgend im Umgang mit meinen Mitmenschen.

Wenn ich mir selbst aufrichtig begegne, dann kann ich auch meinen Mitmenschen aufrichtig begegnen und mich von der Neigung verabschieden, diese verändern zu wollen.

Lassen wir uns einladen und herausfordern, zu uns selbst zu stehen und in uns selbst zu stehen. Jeden Tag neu.

Dann können wir vielleicht am Ende unseres Lebens sagen:

Ich bin/war ganz Ich. Ich bin/war ganz …. .

 

Allen, die in diesen Wochen gerne Fasnet/Karneval feiern, wünsche ich viel Freude beim Verkleiden, beim Schlüpfen in eine andere Rolle und beim närrischen Treiben.

 

Petra Miller

Foto: Bernhard Ohlerth