Predigt zur Fastenzeit

Was ist die Voraussetzung, dass Frieden möglich ist? – Ich bin überzeugt, dass alles auf unser Inneres ankommt: Ein leeres Herz gerät in Panik, ein erfülltes Herz bleibt gelassen und ist zum Frieden fähig.

Leer ist ein Herz, wenn es beziehungsarm oder gar heimatlos ist, erfüllt, wenn es in guten Beziehungen lebt und diese hegt und pflegt, wenn es ein Zuhause hat. Da ist natürlich die menschliche Ebene wichtig, aber es geht immer auch um die Beziehung zu Gott. Es ist für jeden Menschen wichtig, dass er sich nicht nur in seinem Lebensumfeld zuhause fühlt, sondern auch im großen Ganzen.

Und wo begegnet mir Gott, so dass ich etwas von ihm erspüren kann? – Zuerst und immer wieder neu in meinem Innern, aber unsere Innerlichkeit braucht auch ein Außen, das zeigt jede Beziehung. Seit das Wort Gottes Fleisch geworden ist, ist dies für uns Christen nicht nur ein Erfahrungs-, sondern auch ein Glaubensgrundsatz. Für uns katholische Christen ist in diesem Sinne die Messfeier ein herausragender Ort der Gotteserfahrung.

Diese Erfahrung ist es, die unser Herz in der Tiefe erfüllt, die in uns selbst Frieden schafft, die uns stark macht. Deshalb ist für mich gerade die Messfeier eine Quelle des Friedens.

Damit diese Quelle immer wieder neu sprudelt, ist es wichtig, dass wir nicht aufhören, dem Reichtum der Liturgie nachzuspüren. Jede und jeder hat sein eigenes Bild von unserem Gottesdienst. Ein Austausch dazu würde uns allen guttun. Heute möchte ich mit Ihnen einige Elemente von meinem Bild teilen, von denen ich überzeugt bin, dass sie in besonderer Weise die Nähe Gottes vermitteln, eine Nähe, die heilt und befreit.

Die Messfeier als Ganzes ist Gottesbegegnung, aber dann gibt es doch verschiedene Anhaltspunkte. Davon will ich auf die Gottesdienstversammlung an sich und die Gestalten von Brot und Wein eingehen.

Gegenwart Gottes: Taufe – Gottesdienstgemeinde

Als Lesung habe ich die Stelle ausgewählt, in der es darum geht, dass wir in der Taufe in den Leib Christi aufgenommen worden sind.

In der Taufe hat Christus uns zu seinen Freunden erwählt, ist er mit jeder und jedem von uns in eine persönliche Beziehung eingetreten. Im Gebet zuhause, sozusagen im stillen Kämmerlein, können und sollen wir in diese Beziehung auch von uns aus eintreten. So kann diese Beziehung beginnen, unser Herz zu erfüllen. Christus ist mit uns, bei uns, in uns, in jeder und jedem, ganz persönlich. Das ist der Ausgangspunkt jeglichen Glaubens, jeglicher Gottesbeziehung.

Aber unsere Beziehung zu Jesus ist nicht auf unsere Innerlichkeit begrenzt. Paulus sagt, dass wir durch die Taufe, in einen Leib aufgenommen wurden. Der Leib ist ein Bild für die Vielfalt der Glieder, aber auch der Einheit mit Christus und untereinander. Christus, der im Herzen jedes Einzelnen wohnt, verbindet uns zu einer neuen Einheit, gibt unserer Versammlung eine neue Qualität.

Immer wenn es in der Messfeier heißt: „Der Herr sei mit euch“, wird uns diese Einheit mit Jesus zugerufen. Das geschieht schon ganz am Anfang der Feier, zum Evangelium und zum großen Lobpreis vor dem Sanctus.

Jetzt ist die Beziehung zwischen Christus und seinen Jüngern nicht mehr nur ein innerliches Ereignis, sondern bekommt eine sichtbare Gestalt: Wo zwei oder drei im Namen Jesu versammelt sind, wo Gemeinde, wo Kirche ist, da ist Leib Christi. So können wir ohne Übertreibung sagen: Wo wir als Gemeinde Jesu Christi versammelt sind, da ist der auferstandene Herr mit uns, unter uns, ja, wir sind in besonderer Weise ein Ort der Gegenwart des Herrn, an dieser Stelle, in dieser Stunde. Das ist das innere Wesen, das Mysterium unserer Versammlung, der Kirche überhaupt.

Dass die Gottesdienstversammlung an sich schon die Gegenwart des Herrn signalisiert, mit dieser Tatsache sind wenig vertraut.

Leib Christi: erfahrbar

Sichtbar und erfahrbar wird diese Gegenwart aber umso mehr, je mehr die Gemeinde auch im Sinne Christi versammelt ist und die innere Verbindung zelebriert. Das geschieht an mehreren Stellen der Messfeier, angefangen beim Bußakt, ganz besonders aber im Anschluss an das Vaterunser, zu dem schon die Bitte um den Frieden in der Welt gehört.

Obwohl hier also schon um Frieden gebetet wird, folgt nochmal ein eigenes Gebet um „Frieden und Einheit“ der Kirche. Und an dieses Gebet schließt sich der Friedensgruß an. In der Geste des Friedensgrußes wird die innere Verbundenheit der Gottesdienstteilnehmer in eindrücklicher Weise sichtbar, erfahrbar.

Der Friedensgruß löscht nicht einfach alle Differenzen aus, die es vielleicht zwischen uns gibt, aber wir zeigen uns ein grundsätzliches Wohlwollen und lassen uns spüren, dass wir zusammengehören im gleichen Glauben an Jesus Christus, der jetzt unsere Mitte ist.

So wird die äußere Versammlung zur Trägerin des Geheimnisses der Gegenwart Christi. Das ist es, was ich meine: Unsere Zusammenkunft ist ein Anhaltspunkt für die Gegenwart des Herrn. Betreten wir einmal in diesem Bewusstsein die Kirche zum Gottesdienst. Üben wir diese Sichtweise ein, dann werden wir spüren, dass Gemeinde viel mehr ist als eine bloße Ansammlung von Menschen.

Gegenwart in Brot und Wein

Liebe Gemeinde,

aber damit nicht genug. In den Gestalten von Brot und Wein ist der Herr in der Messfeier nochmal auf neue Weise da. Ich finde immer, wir können auch sagen: Der Herr tritt aus der Gemeinde heraus und uns gegenüber.

Es ist die gleiche Gegenwart des Herrn, denn mehr als präsent kann er nicht sein.

  • Er selbst ist es, der seit der Taufe in unseren Herzen gegenwärtig ist;
  • er selbst ist es, der in der Gestalt der Gemeinde bei uns ist;
  • er selbst ist es, der uns in den Gestalten von Brot und Wein gegenübertritt.

Nur werden diese drei Formen seiner Gegenwart immer konkreter und unabhängiger von unserer persönlichen Befindlichkeit und der inneren Verfassung unserer Versammlung. Da ist der Herr immer, aber er ist nicht immer gleich spürbar.

In der Messfeier vermitteln die Gestalten von Brot und Wein die Gegenwart des Herrn, ganz gleich, ob ich gerade ein religiöses Hochgefühl erfahre, ob unsere Liturgie gerade Harmonie und Erhabenheit ausstrahlt oder nicht. Die Gestalten von Brot und Wein sind immer ein Ausrufezeichen für die Gegenwart des Herrn.

Innehalten

Liebe Schwestern und Brüder,

an dieser Stelle müssten wir eigentlich innehalten und auf uns wirken lassen: Der auferstandene Herr ist da und er begegnet uns auf Augenhöhe, d.h. auf menschlicher Ebene, so dass wir konkrete Anhaltspunkte für seine Nähe haben: Unsere Versammlung und die Gestalten von Brot und Wein.

Das ist das Ereignis der Liturgie, unserer Messfeier. Hier dürfen wir uns den Ausruf aus dem Alten Testament zu eigen machen: „Welche große Nation hätte Götter, die ihr so nah sind, wie der Herr, unser Gott, uns nah ist?“ (Dtn 4,7)

Jesus ist als der Auferstandene zum Vater heimgekehrt, aber er lässt uns nicht als Waisen zurück. Wenn wir das bedenken: Er ist bei uns – Geht uns da nicht das Herz auf?

Für uns

Aber jetzt fehlt noch eine wichtige Dimension der Gegenwart des Herrn. Er ist nämlich nicht nur da, er ist vielmehr für uns da. Diese Perspektive wird in den Wandlungsworten deutlich: Das ist mein Leib für euch, das ist mein Blut für euch, das bin ich für euch.

Das Johannesevangelium bringt diese Worte nicht, was immer wieder verwundert, aber dafür bringt es ein drastisches Bild, das dieses „für euch“ sichtbar macht: Die Fußwaschung.

Dem Gast die Füße zu waschen, war der Dienst des Haussklaven. Im Namen des Hausherrn erwies er auf diese Weise dem Gast die erste Aufmerksamkeit. So dürfen auch wir die Zuwendung Jesu verstehen: Er gibt uns die Ehre, er bringt uns Wertschätzung entgegen.

Aber in dieser Zuwendung steckt mehr: Jesus kennt seine Jünger, er weiß um ihre Irrungen und Wirrungen, um ihre Abgründe. Mit all dem sind die Jünger in seine Zuwendung eingeschlossen.

Dieses Dasein für die Seinen gipfelt für mich immer wieder im Bild vom guten Hirten, der das verlorenen Schaf sucht, bis er es findet. Er sucht es nicht eine Zeit lang, er sucht es, bis er es findet.

Nochmal innehalten

An dieser Stelle müssten wir eigentlich noch einmal innehalten und es verkosten: Der Herr ist da, er ist für uns da. Er zeigt uns seine Wertschätzung, und sollten wir auf Abwege geraten, gibt er uns niemals verloren, er gibt uns nicht auf und wenn er uns ewig suchen müsste.

Berührungsängste

Und noch etwas beeindruckt mich an der Zuwendung Jesu, die das Bild von der Fußwaschung vermittelt. Dieser Jesus hat keine Berührungsängste, er packt zu, die Szene hat etwas Hemdsärmeliges. Petrus spricht uns aus dem Herzen: Niemals sollst du mir die Füße waschen, das kann ich von dir, dem Herrn und Meister, nicht annehmen.

Ja, wenn Jesus, der Göttliche, der Sohn Gottes bei uns ist, dann stellt sich zurecht die Frage: Und wie können wir ihm begegnen? – Ich finde immer, wir können dazu aus der Szene der Fußwaschung viel lernen.

Manche Gläubige treibt es geradezu um, wie sie dem Herrn angemessen begegnen können. Doch im Grunde ist es ganz einfach, denn auch für uns heute gilt das Wort Jesu: Wenn ich dich nicht wasche, wenn ich dir nicht nahekommen darf, hast du keine Gemeinschaft mit mir. So will Jesus uns begegnen, obwohl oder gerade weil er der Herr, der Sohn Gottes ist.

Das können wir ja auch auf weltlicher Ebene beobachten: Menschen in hohen Ämtern, die Persönlichkeiten sind, sind im Stande, jedermann auf Augenhöhe zu begegnen. Sie sind nicht angewiesen auf umständliche Etikette, sie wollen dem Menschen begegnen. Und wo wir das spüren, da wächst unsere Achtung und unsere Wertschätzung.

Jesus ist die denkbar höchste Persönlichkeit, er ist von Gottes Art, er ist der Mittler zwischen Gott und uns Menschen. Deswegen ist er am meisten im Stande, sich auf unsere Ebene zu begeben, um uns als Menschen anzutreffen und zu begegnen. Diese Begegnung tut uns gut, sie richtet uns auf und deswegen ist unsere Achtung und Wertschätzung geprägt von aufrechtem Geist und von Würde.

Letztlich liegt die höchste Ehrerbietung darin, dass wir immer mehr dem Beispiel Jesu folgen und einander und allen Menschen begegnen, wie er uns begegnet.

Schon …

Liebe Versammlung,

in der Messfeier kommt uns der auferstandene Herr bei uns. Das Besondere unserer Feier ist, dass er uns Anhaltspunkte für seine Nähe gibt, die wir sehen und begreifen können: zunächst unsere Versammlung und dann die Gestalten von Brot und Wein.

Das letzte Wort der Feier lautet: „Gehet hin in Frieden.“ Man hat schon bedauert, dass es nicht heißt: Gehet hin und bringet Frieden. Aber vielleicht brauchen wir nicht für alles eine Aufforderung.

Wovon das Herz voll ist, davon geht der Mund über. Das gilt gerade auch am Ende der Messfeier: Wenn das Herz Gottes voll ist, sind wir so von Freude und Energie erfüllt, dass der Mund davon übergeht, dass unser ganzes Wesen kraftvollen Frieden ausstrahlt. Diese Fülle Gottes macht die Messfeier zur Quelle des Friedens.

Noch nicht …

Freilich erfahren wir die Gegenwart Gottes nicht in jeder Messfeier gleich intensiv. Seine Nähe ist gewiss ein Geschenk, aber ein stückweit müssen wir uns auch die einzelnen Elemente erarbeiten, damit sie zu uns sprechen, müssen wir uns dahin einüben, dass wir empfindsam werden. Und es geht immer auch darum, dass wir miteinander die Liturgie so gestalten, dass sie Göttliches ausstrahlen kann. Aber auch beim besten Willen ist wahr: Hier auf dieser Erde werden wir die ganze Fülle Gottes nicht erfahren können, auch nicht in der Liturgie.

Das ist einer der Gründe, warum gilt: Wir können zwar aus der Kraft Gottes zum Frieden beitragen, aber wir können ihn nicht vollenden. Das kann nur Gott allein, wenn er einen neuen Himmel und eine neue Erde hervorbringt.

Vollendung

Dann wird er uns zum himmlischen Hochzeitsmahl versammeln, das keine „Anhaltspunkte“ mehr braucht, das vielmehr von seiner und unserer reinen Präsenz lebt. Für diese neue Gottesgemeinschaft kann unsere Messfeier nur eine Vorahnung sein. Aber diese Vorahnung nährt unsere Hoffnung auf Vollendung, gibt ihr einen Anhaltspunkt.

Meine große Hoffnung ist, dass dann endlich alle Opfer und auch die Täter der Weltgeschichte, die kleinen und die großen, versammelt sind, weil Gott alle Herzen gefunden und verwandelt hat.

Das ist für mich die Friedensvision schlechthin, es ist für mich die Vision vom Himmel. Amen.

 

Pater Konrad Werder SDS