Interessantes aus dem Provinzarchiv
Der Eintrag in meinem Kalender lautete folgendermaßen: 05.10.2023 (10:00h) Bay. StaBi, Ludwigstr. 16 – Übergabe
Wie kam es zu diesem Termin und was wurde da übergeben?
Die Vorgeschichte
Paulus Blum SDS ist am 8. April 2021 in Bad Wurzach gestorben. Aus Gründen der Pietät warte ich mit dem Auf- und Ausräumen des Zimmers und der Sicherung eines archivwürdigen Nachlasses immer einige Wochen. Gemeinsam mit Frau Gertrud Majer, der leiblichen Schwester von P. Paulus, habe ich dann im Mai 2021 damit begonnen. Sie hat schließlich errechnet, dass wir beide 40 Tage – also insgesamt 80 Arbeitstage – gebraucht haben, um die Materialmenge zu bewältigen.
Unter all den Dokumenten und Papieren stieß ich auf einen alten Notendruck, den ich fast zerrissen hätte, weil er über P. Paulus oder uns Salvatorianer wenig aussagte. Gebremst wurde ich jedoch vom Datum auf der Titelseite: 1585. So legte ich die Noten zunächst einmal zu den ‚bewahrenswerten Schriften‘. Nach getaner Arbeit wurde der Großteil der Unterlagen nach München geschafft und dort schrittweise eingeordnet; dabei tauchte der alte Notendruck wieder auf:
MOTETTI ET RICERCARI von Orlando di Lasso „A DUE VOCI“ (hier: Alto).
Ristampati Libro Primo. In Venetia Appresso Angelo Gardano. 1585.
Die Überraschung
Unweigerlich fragt man sich nach der Authentizität, der Bedeutung und wohl auch nach dem Wert eines solchen Fundes und so wandte ich mich an das Bayerische Staatsarchiv und bat um eine fachliche Prüfung. Der Archivrat, der für Bewertung und Erwerb zuständig ist, empfing mich am 3. Mai 2023, war sich sicher, dass das Dokument echt ist, und verwies mich sogleich an die Musikabteilung der Bayerischen Staatsbibliothek.
Dort wiederum ist die westdeutsche Arbeitsstelle angesiedelt, die entsprechende Funde in einer internationalen wissenschaftlichen Bibliographie für historische Notendrucke, dem ‚Répertoire International des Sources Musicales‘ (kurz: RISM) erfasst und von Dr. Gottfried Heinz-Kronberger geleitet wird. Dr. Heinz-Kronberger besuchte unser Provinzarchiv am 17. Juli 2023 und staunte nicht schlecht, war er doch ebenso von der Bedeutung und Echtheit des Notendrucks überzeugt.
Unser Gespräch fasste er nachträglich in einer Mail zusammen und schrieb:
„Es sind nur drei Exemplare des Notendruckes nachgewiesen. [Einer in London, einer in Paris und ein unvollständiger in München / MO]. (… In der Staatsbibliothek würde der unvollständige Druck durch ihre Ergänzungsblätter lückenlos geschlossen!) Daher würden wir äußerst gerne ihren Druck übernehmen und er hätte wissenschaftlich einen hohen Stellenwert.“ [Mail von 17.07.2023]
Die Entscheidung
Die Abgabe des Notendruckes hing aber natürlich auch noch von der Frage nach seinem Wert ab; hier half mir Dr. Michael Raab, Inhaber eines Musikantiquariates in München. Er differenzierte: (1) Als Musikalienhändler müsse er zunächst das aktuelle Interesse auf dem Musikmarkt erkunden, ging aber von einem Betrag zwischen 500 und 2.000 € aus; (2) als Musikwissenschaftler würde er eindeutig sagen: „Der Druck gehört in die Staatsbibliothek.“
Da eine Dauerleihgabe ausschied, weil die Bayerische Staatsbibliothek wohl zu viel Ärger mit Leihgebern gehabt hat, musste entschieden werden: „Bieten wir den Druck auf
dem Markt an oder überlassen wir ihn der Wissenschaft?“ In einer Arbeitsvorlage reichte ich diese Frage an die Provinzkonsulta weiter, sprach mich allerdings für die Abgabe an die Staatsbibliothek aus. Diese wiederum entschied am 15. September 2023, dass wir den Notendruck der Wissenschaft überlassen, wie es P. Provinzial dann den Mitgliedern der Deutschen Provinz am 20.09.2023 mitteilte [‚unter uns‘, VIII/13].
Die Übergabe
Am 5. Oktober 2023 konnte ich dem stellvertretenden Leiter Jürgen Diet und der Sachbearbeiterin Frau Dr. Sabine Kurth in der Musikabteilung der StaBi diesen Notendruck übergeben In dem entsprechenden Dokument heißt es:
„Wir danken dem Provinzialat der Deutschen Provinz der Salvatorianer sehr für ihr großzügiges und wertvolles Geschenk der Seiten 1-8 aus dem 1585 bei Gardano erschienenen Notendruck …, die das unvollständige Exemplar der Bayerischen Staatsbibliothek mit der Signatur Mus.pr. 6947 ergänzen.
Die Bayerische Staatsbibliothek wird dieses Geschenk, das Sie auf Vermittlung von Herrn Dr. Heinz-Kronberger am 5. Oktober 2023 persönlich der Musikabteilung der Bayerischen Staatsbibliothek übergeben haben, gerne unverzüglich in ihren Bestand aufnehmen und mit Angabe der Provenienz in ihrem Katalog verzeichnen.“
Es ist mir eine Freude, dass wir den Fund nun der Erforschung durch fach- und sachkundige Wissenschaftler zugänglich gemacht haben.
Michael Overmann SDS
Provinzarchivar
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